Christian Buß: Darüber, ob die Reifen am Auto noch genug Profil haben. Dieser Milieu-Krimi spielt bei einem Reifenhändler, und das Heizer-und Schrauberumfeld wird so bunt und lustvoll in Szene gesetzt, dass man nur zu gerne mit den Charakteren über Alufelgen und Sportreifen philosophieren will.
Lars-Christian Daniels: Über Norbert Jütte (Roland Riebeling), den neuen Assistenten im Kölner Tatort, der mit seiner unerschütterlichen Gemütlichkeit und seinem schneckenähnlichen Arbeitstempo jede Szene in diesem Tatort stiehlt: “Einarbeiten dauert natürlich!”
Matthias Dell: Über den “neuen Trendsport Schwimmen”, wie es in Ballaufs Zeitschrift heißt.
Kirstin Lopau: Darüber, dass Freddy das erste Mal allein (!), ohne Max, Currywurst an der Bude essen muss, weil der lieber seiner Midlife- und Job-Krise davonschwimmt. Natürlich werden wir auch ein Wort verlieren über den neuen Kollegen “Jütte”, der Tobias ersetzt (dieser weilt fröhlich frisch verheiratet in Las Vegas und hat den Job hingeschmissen).Â
Christian Buß: “Die meisten hier drin wären mit einer Prostituierten besser bedient.” Das sagt eine Gefängniswärterin zu der Ehefrau des Verdächtigen, nachdem diese mit ihrem Mann im unpersönlichen Rahmen einer Besuchszelle traurigen Sex gehabt hat.
Lars-Christian Daniels: Allein Currywurst essen ist auch irgendwie nix.
ARD-Krimi: Wechsel beim Kölner Tatort!
Matthias Dell: Dass die Termine, die die Polizei in der schicken Schwimmhalle bekommt, nur von wenigen genutzt werden.
Kirstin Lopau: Für Bicolor-Felgen und Sportbereifung gibt es einen Markt. Wir lernen außerdem, dass die Aufnahme in der JVA kein Zuckerschlecken ist und vor allem, dass Frau zum Langzeitbesuch in der JVA keinen Bügel-BH tragen sollte (auch wenn er noch so rot ist). Und zu guter Letzt lernen wir noch den gemeindeutsch fachsprachlichen Plural von Kran.
Fall ohne Wurst
Christian Buß ist Kulturredakteur bei Spiegel Online und schreibt dort regelmäßig über den Tatort.
Aal in der Tüte
Lars-Christian Daniels bespricht für sein Blog Wie war der Tatort? und das Onlinemagazin Filmstarts denTatort und weitere TV- und Kinofilme.
Köln – Das gefühlsechte Köln spielt sich in den Randbezirken ab: in Meschenich am Südende der Stadt beispielsweise. Aus einem Baggersee wird dort ein Auto geborgen, im Kofferraum liegt die Leiche des erschossenen Autoschraubers Florin Baciu (Kristijan Rasevic). In der Plastiktüte, die ihm über den Kopf gezogen wurde, zappelt noch ein Fisch.
Matthias Dell ist Tatort-Kritiker bei ZEIT ONLINE und teilt das Arbeitsethos von Gunter Gabriel: “Derjenige, der dem Schweiß den Rücken runterläuft”.
In Mitgehangen ermitteln die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk im Autoschrauber-Milieu der tristen Vorstadt … und bieten weit mehr als einen Sonntagskrimi.
Kirstin Lopau ist ZEITmagazin-Leserin und eine der meinungsstarken Kommentatorinnen bei unseren sonntäglichen Tatort-Diskussionen bei Facebook.
Christian Buß: Und, wie schnell schwimmt Ballauf jetzt 100 Meter Kraul? Der frustrierte Polizist zieht hier zum Abreagieren seine Runden, am Ende nimmt Kollege Schenk seine Zeit.
Lars-Christian Daniels: Was hat sich der WDR nur wieder bei diesem Soundtrack gedacht? Schon im letzten Kölner Tatort: Bausünden konterkarierten die monoton-repetierenden Akkorde das Geschehen oft eher, als für Dynamik zu sorgen. Das ist diesmal nicht anders.
Matthias Dell: Warum wollte Grevel Jr. den neuen Lover der Mutter umbringen, wo der im Falle seines Schuldigseins doch eh ins Gefängnis käme?
Kirstin Lopau: Was wird nun aus dem Reifenhandel, wer kauft ernsthaft Bicolor-Felgen und zahlt Freddy sein Ticket?
Dieser hat sich aus irgendeinem Grund verändert, seit der Wagen mit der Leiche aus dem See gezogen wurde. Mit geradezu verbissenem Ehrgeiz zieht Ballauf nun regelmäßig im Schwimmbad seine Bahnen, und ebenso verbissen hält er an seiner Überzeugung fest, dass Grevel der Täter ist. Er bringt dessen 16-jährigen Sohn Simon (Alvar Goetze) dazu, gegen seinen Vater auszusagen. Schenk ist von Ballaufs Verhalten zunehmend irritiert: Man trickst nicht die Kinder aus, es gibt auch Grenzen. Wir treiben einen Keil in die Familie.
Christian Buß: Gegen die beiden starken Hauptdarstellerinnen – Lana Cooper als Chefin einer Baustofffirma, Lavinia Wilson als Chefin einer Reifenhändlerfirma – kommen die Männer nicht an.
Lars-Christian Daniels: Lavinia Wilson ist eine der besten deutschen Schauspielerinnen, in diesem Tatort aber eine Fehlbesetzung. Abgekauft habe ich ihr weder die gestresste Mutter zweier Kinder noch die von Finanznöten geplagte Übergangswerkstattleiterin und Ehefrau des Hauptverdächtigen. Auch sonst agiert der Cast nicht immer auf Primetime-Niveau.
Christian Buß: Von Ballauf, dem einsamen Wolfsbarsch, der seine Runden durchs Wasser zieht, weil er niemanden hat, mit dem er seine Freizeit verbringen könnte.
Lars-Christian Daniels: Hobby-Schwimmer Ballauf springt in der letzten Einstellung des Films in Zeitlupe ins Schwimmbecken – mit einem derart miserablen Kopfsprung, dass man sich fragen muss, ob er in diesem Tatort tatsächlich noch sein Seepferdchen nachholen wollte.
Matthias Dell: Vom Leitersturz in der Fechthalle. Das sah doch relativ ungemütlich aus.
Der Kölner “Tatort” gehört zu den beliebtesten überhaupt, in jüngster Zeit sahen durchschnittlich rund zehn Millionen Zuschauer zu. Auch die 72. Episode bringt alles mit, was ein “Tatort” von Kölner Format braucht.